Workshopreihe: Touristification in Berlin

 

 

Der freie Zusammenschluss kritische geographie berlin beschäftigt sich seit längerem mit Phänomenen, Ursachen, Akteuren und Wirkungsweisen des neuen touristischen Interesses an Berliner “Trend- Bezirken“, wie etwa Mitte, Kreuzberg und Teilen Neuköllns (‚Nordneukölln’). Bisher haben wir uns in unterschiedlicher Intensität und Regelmäßigkeit einen Überblick über das Thema verschafft und uns mit einzelnen Facetten von Touristifizierung der Stadt und “Kreuzköllns“ beschäftigt. In der 2012/2013 stattfindenden Workshopreihe möchten wir uns und anderen die Möglichkeiten schaffen, in einem strukturierten Versuch der Annäherung an unterschiedliche Dimensionen der Touristification diese in ihrem komplexen Charakter etwas lesbarer zu machen und uns über Fragen der Analyse und Bewertung auch zu möglichen Interventionen und Initiativen zu verhalten.

Tourismus und Tourist_innen sind in aller Munde heutzutage in Berlin. Das Reden über sie füllt Zeitungsartikel und Kolumnen, Veranstaltungen und Kiezversammlungen. Zu lesen oder zu hören ist dann vieles: über ihren segensreichen oder zerstörerischen Einfluss auf die Stadtteile ihres Begehrens, die neuen Clubs, Cafes und Kneipen in denen nicht mehr deutsch, sondern vor allem Englisch oder Spanisch gesprochen wird, die steigenden Mieten und der sich verknappende Wohnraum, 11 Monate leerstehende Ferienwohnungen schwedischer Bildungsbürger_innen oder informelle Apartmentbörsen findiger lokaler Wohnungsbesitzer, der Boom der Spätverkäufe und die langen Schlangen vor den Museen der Hochkultur in der Stadt.

Tourismus in Berlin hat viel Gesichter und noch mehr Akteure, er wird kontrovers diskutiert, aktionistisch polarisiert und politisch adressiert. Oft verschwimmen dabei definitorisch die Grenzen zwischen Klassenfahrten und Tagestourismus in Gruppenreisen, Easy-Jetset, Hauptstadt- und Kulturtourismus, Konferenz- und Arbeitsmigration, temporäre  Aufenthalte ohne bekanntes Ende, …kurz: alle reden vom Tourismus und niemand weiß so richtig was damit alles gemeint ist und wo etwa andere Kategorien (Migrant_innen, Flüchtlingen, Teilzeitmobile und multilocals etc.) beginnen.

 

Der Arbeitsbegriff Touristification versucht diesem Definitionsdilemma (das damit auch ein Analysedilemma ist) zu entkommen, indem hier erweitert nicht nur die idealtypischen Touristen der Tourismusforschung, die Tagesgäste und Urlauber in den Blick genommen werden, sondern die vielfältigen Akteure im Prozess gegenwärtiger Reisebewegungen hier in die Stadt.   Touristification ist damit ein Konzeptbegriff der sich an vielfach unbekannten, schwer kategorisierbaren Akteuren sowie den Prozessen ihrer Entstehung sowie ihrer Ab- und Anwesenheit orientiert.  Wir haben diesen Begriff aber keineswegs selbst erfunden. Er geistert vielmehr als Touristification, Tourismification (sic) oder eben als Touristifizierung seit mehreren Jahren in der Stadtforschungsdebatte (Foljanty/Kappus/Pfeiffer et al. 20061; Bhandari, 20082; Wöhler 20113) herum, scheint aber bisher eher phänomenologisch denn analytisch geprägt zu sein.

„Touristification beschreibt einen Prozess, durch den bis dahin touristisch wenig attraktive Stadtteile und Orte von Touristen entdeckt und für sie erschlossen werden. Es etablieren sich monostrukturelle Ökonomien, die den zahlungskräftigen Touristen alles bieten, was sie brauchen – Cafés, Bars, Supermärkte, Souvenirshops – aber die Bedürfnisse der Anwohner vernachlässigen (…). Die Geschichte der Stadt wird dabei ebenso vermarktet wie eine breit gefächerte Kulturlandschaft mit ihren Szenevierteln. Zu beobachten ist diese Touristification insbesondere in den Innenstadtbezirken Mitte und Prenzlauer Berg, zunehmend aber auch in Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln“. (von Borries 2011:161)4.

In dieser Definition bleibt es bei der Feststellung dass da wenig Attraktives erschlossen wird und sich monostrukturelle Ökonomien etablieren. Aber wie läuft dieser Prozess ab? Von wem – welche (politischen) Akteure, welche (ökonomischen) Interessen, welche Diskurskoalitionen – wird die Entwicklung voran getrieben? Und. Entsteht wirklich eine Mono-Struktur oder eher ein flexibles Gebilde zugeschriebener Coolness, jedoch mit geringer Halbwertszeit (Bsp. Clubs und Hostels)? Es ergeben sich also bei den vorliegenden Texten zunächst eher Fragen als befriedigende Erklärungen.

Auch in sozialräumlicher Perspektive sind Tourist_innen keine äußerlichen, auswärtigen  Konsumenten einer Stadt oder ihrer Stadtteile, touristischen Orten und Atmosphären. Sie produzieren vielmehr diese Räume (mehr oder weniger aktiv und bewusst) mit. Touristification ist daher auch der Name eines momentanen Zustandes, eines Produktes, eines temporäres Ereignisses der Inwertsetzung von Stadt(teilen) als touristischen Orten durch kapitalistische Alltagspraktiken. (Touristification of everyday life)

 

Angesichts der beobachtbaren kritischen Einstellungen gegenüber Tourist_innen und Tourismus, welche zum Teil zu unreflektierten Äußerungen und Handlungen gegenüber einzelnen Personen führen, finden wir es besonders wichtig, uns den gegenwärtigen Entwicklungen in Berlin Kreuzberg und Neukölln aus theoretisch geleiteter und analytischer Perspektive anzunähern.*


Themenschwerpunkte:

Im großen Themenfeld Touristification/ Touristmigration gibt es zentrale Dimensionen, die wir zunächst als Zugang zu Ökonomie, Politik und Alltagspraxen grob eingeteilt haben.

Daraus ergeben sich drei thematische Veranstaltungen:

  1. politische Ökonomie der Touristification
  2. Touristification – Steuerung, Akteure und Konflikte
  3. Touristische Alltagspraktiken

 

Charakter der Workshops:

Angestrebt wird eine vorstrukturierte, aber gleichzeitig möglichst offene Debatte, („niedrig schwellig und niedrig schwallig“), die von einzelnen Mitgliedern der kritischen geographie berlin vorbereitet und moderiert wird. Die Workshops Touristification gehen davon aus, dass das Thema (auch aus eigener touristischer Praxis) für alle Beteiligten an Erlebnis- und Erfahrungshorizonte anschlussfähig ist. Positionshierarchien und ‚good and evil’ – Polaritäten sollten dadurch zu bewältigen sein.

Als Ergebnis der Workshops wird – neben regen Debatten und Interaktionen – das Erstellen von Thesenpapieren der Diskussionsergebnisse angestrebt, um daraus z.B. Aufsätze oder Artikel zu schreiben.

 

Teilnehmen können alle Leute die sich über die Mailingliste angesprochen fühlen, sowie eingeladene Gäste (Maximal allerdings ca. 30 Personen). Die Teilnahme ist kostenlos.

 

Zur politischen Ökonomie der Touristification Berlin-Kreuzköllns“

am Samstag den 9. Juni 2012,

Tourismus ist die Konsumption kommodifizierter, also warenförmig gemachter Orte durch räumlich mobile Konsumenten. Die politische Ökonomie der Touristification besteht daher aus diversen Wechselwirkungen zwischen touristischen Angeboten, Nachfragen und der Zirkulation / Mobilität von Menschen, Gütern und Informationen, bzw. deren medialer Erzeugung und Übermittlung. Jede touristische Destination bedarf somit eines (mehr oder weniger) differenzierten, spezifizierten und vielfältigen Spektrums infrastruktureller und dienstleistungsbasierter Angebote zur Befriedigung touristischer Wünsche und Bedürfnisse. Der Charakter dieser Angebote schwankt und ist abhängig von lokalen Märkten und ihrem Publikum.

In Berlin ist in den letzten Jahren eine Verschiebung und Ausweitung der touristischen Orte und seiner Protagonist_innen festzustellen: Neben der touristischen Konsumption von “Hochkultur” und “Geschichte” werden Party- Erlebnis-, und Subkultur -Tourismus sowie die  Suche nach konsumierbarem “authentischem urbanem Leben” immer relevantere Marktsegmente. Diese Prozesse der touristischen Inwertsetzung neuer städtischer Räume, derzeit insbesondere etwa in “Kreuzkölln” oder dem südöstlichen Kreuzberg lassen sich nicht alleine als Erfolg städtischer Marketing-Strategien oder neuer (sub)kultureller Angebote dort interpretieren.  Wesentlich ist dabei auch, dass die touristischen Konsument_innen diese Orte nicht nur besuchen, sondern sie durch ihre Anwesenheit und konkreten Alltagspraxen als Tourist_innen mit produzieren.

Der städtische Raum scheint sich daher immer mehr auch entlang touristischer  Bedürfnisse zu transformieren, während er seinen Gebrauchswert für die lokal ansässige Wohnbevölkerung verlieren kann, bzw. diese verdrängt wird. Daher werden Zusammenhänge zwischen der Gentrifizierung einzelner Stadtteile und deren touritischer Attraktivität vermutet. Voraussetzung dafür ist allerdings auch die relative Armut großer Teile der Berliner Bevölkerung, auf ihr gründet Berlins Aufstieg zu einer europäischen Metropole des “alternativen” Backpacker-Tourismus. Berlin ist nicht “arm, aber sexy”, sondern “touristisch sexy, weil arm”!

 

Diesen hier nur skizzierten Elementen und Wechselwirkungen touristischer Ortsproduktionen in Berlin wollen wir uns über die – raumtheoretisch geformte – Brille einer politischen Ökonomie der Touristifizierung annähern:

Neben einführenden Überlegungen und Begriffsklärungen (polit. Ökonomie des Touris­mus + Touristifizierung) wollen wir uns in drei Arbeitsgruppen 1. der Inwertsetzung der Stadt als touristischem Ort, 2. dem Zusammenhang von Gentrifizierung und Tourismus, sowie 3. dem konkreten Beispiel des Berliner Ferienwohnungsmarktes widmen.

Wir bitten Interessierte sich bei uns anzumelden und ihr Interesse an der jeweiligen Arbeitsgruppe zu signalisieren, damit wir noch kurzfristig kurze Vorbereitungslektüren versenden können.

 

Workshop 2 am 6. Oktober 2012 

Governance des Tourismus und der Touristen / Touristification – Steuerung, Akteure und Konflikte

Die Dimension de politische Steuerung der Touristification in Berlin geht davon aus, dass sich politische Governance als vermachtete Regelung unterschiedlich artikulierter und hegemonialer bzw. konfligierender Interessen besteht. Es geht also um die Regulierung von Interessensgegensätze und der Akkumulation von Gewinnen bei den üblichen Verdächtigen aber auch die „Selbstorganisation der Anderen“

Auf den Spuren der (politischen) Machtfrage geht Workshop in drei Schritten vor:

 

a) Tourismuspolitik findet auch in Berlin nicht im luftleeren Raum statt. Eingebettet in die hegemoniale Konstellation der imageproduzierenden, konkurrierenden und effizienzorientierten und Gewinne privatisierenden – kurz „unternehmerischen“ Stadt streiten sich die verschiedenen verschiedenen Akteure in der tourismuspolitischen Arena um die Durchsetzung ihrer Interessen. Hier ist ein genauerer Blick nötig – wer versucht was, wie zu erreichen: Wir fragen nach Akteuren Interessen und Strategien in der (Berliner?) Tourismuspolitik – Senat, Bezirke, visit Berlin, Agenturen, DEHOGA, Quartiersmanagement, Kiezinitiativen …

 

b) Dabei sind die Möglichkeiten, sowohl – klassisch politisch – allgemein verbindliche Entscheidungen im eigenen Sinne zu erwirken oder – eher postmodern – Diskurse zu bestimmen und Deutungshoheiten zu erlangen, zwischen den staatlichen, zivilgesellschaftlichen und privaten Akteuren höchst ungleich verteilt. Am Beispiel der Auseinandersetzung um Ferienwohnungen sollen formelle und informelle Machtressourcen im Feld der Berliner Tourismuspolitik analysiert werden.

 

c) Es gibt nicht Gutes, außer man tut es! Aber wie und vor allem mit wem?  Ist der stadtentwicklungspolitische Konsens schon ausgemacht, die Großen Koalitionen der Tourismuspolitik bereits geschmiedet, bringen Runde Tische die Menschen, die daran eher zum Schweigen oder zum Reden? Zum Abschluss wollen wir aus und mit der Perspektive einer Kiez-Initiative über stadtpolitische Koalitionen und die Möglichkeiten emanzipativer politischer Praxis zwischen Abgrenzung und Ausgegrenztwerden diskutieren.

Ansprechpersonen:Sören, Fabian, Hanna

 

Workshop 3 am 1. Juni 2013

Touristische Alltagspraktiken

Auch wenn touristische Handlungen unter dem Einfluss einer politischen Ökonomie u.a. des Hotel- und Gaststättengewerbes stehen (Workshop 1), sie mehr oder weniger politisch aktiv gesteuert und verregelt erscheinen (Workshop 2), so sind es doch und vor allem die individuellen und kollektiven Praktiken unterschiedlichster Akteure, welche die konkrete Art und Weise der touristifizierenden Entwicklung in Berlin bestimmen.

Die touristischen Handlungsformen sind weder durch die Möglichkeiten der Stadt vollständig determiniert, noch kann sie sich über deren Grenzen oder Strukturierungen gänzlich hinwegsetzten. Touristischer Alltag bewegt sich also in einem ständigen Aushandlungsprozess zwischen Struktur und Handlungsmöglichkeiten.

Beobachtungen und Studien zeigen, dass dabei die Grenzen zwischen touristischen und migrantischen Praktiken zunehmend schwinden. Neue Formen von Mobilität und transnationalen Lebensstils bilden sich heraus, deren Einfluss auf die Bedürfnisse ihrer Akteure an ihr jeweiliges, temporäres Umfeld noch weitgehend untererforscht scheinen (quellen), aber die Art und Weise touristischen Umgangs mit der Stadt wesentlich prägen. .Das ist unter anderem sichtbar in einer wachsenden Präsenz touristischer Akteure in der Stadt, den kaum noch erkennbaren Saison-Zyklen und jahreszeitlichen Höhepunkten, und der damit verbundenen Eigenheit als fester, sichtbarer Bestandteil des Straßenbildes, der öffentlichen Räume und lokalen Handlungen.

Der Schwerpunkt dieses Workshops wird es daher sein, alltägliche Praktiken touristischer Akteure als ‚Scharnier zwischen Struktur und Subjekt’ (Hörning und Reuter 2004:33) und vor allem unter Beachtung der sich neu herausbildenden touristischen Handlungsorientierungen in den Blick zu nehmen.

Nach einem kompakten Einstieg ins Thema wird der Versuch unternommen, touristische Alltagspraktiken in Berlin Kreuzberg zu „suchen“ und zu beobachten. Eine gemeinsame Auswertung und Diskussion der Erfahrungen am Nachmittag soll helfen, die Ergebnisse einzuordnen und mit Konzepten und Abgrenzungen in der Tourismus-Debatte in Bezug zu setzen.

Bei Anmeldung erhaltet Ihr Einstiegsliteratur per email zugeschickt.

Ansprechpersonen: Kristine + Thomas + Micki + Manuel

 

 

 

 

Ortsbezüge: Neben dem Bezug auf die Geschehnisse in Berlin-Kreuzkölln findet Touristifizierung in unterschiedlich verräumlichten Bereichen statt. Besonders relevant erscheinen uns drei Felder:

a)             Ferienwohnungen und Appartements als informelle Phänomene einer (Touristifikation?) Übernachtungsökonomie (typisch?)

b)            Hostels und andere Formen der Übernachtungssubkultur (couch surfing…)

c)             Clubs, Culture, Events

 

 

* Eine sprunghafte Zunahme touristischen Interesses an bestimmten Stadtteilen ist unserer Meinung nach als Teil komplexer stadtentwicklerischer Prozesse sicher sowohl mit positiv als auch negativ erlebten Effekten für verschiedenste Akteure in der Stadt verbunden. Mit unseren Untersuchungen und Debatten wollen wir versuchen, den Blick auf die große Vielzahl von Akteuren, vor allem aber auf die Vielschichtigkeit von Praktiken (touristischen, stadtpolitischen, ökonomischen, sozialen, migrantischen, kulturellen, usw.) im Zusammenhang mit den beobachtbaren Phänomenen zu lenken, um somit vorschnelle Zuschreibungen von Effekten auf das Handeln gewisser Akteure zu vermeiden. Eine in der Konkret 9/2012 vorgenommene, unseres Erachtens fehlerhafte Zitierung unseres Zuganges und dem daraufhin angestellten Vergleich unserer Gruppe mit touristenfeindlichen Initiativen möchten wir daher entschieden abweisen.

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  1. […] Nachbar_innen solidarisieren sich mit dem Kampf gegen Verdrängung durch Touristifizierung und das Hostel. Aus Anlass des europäischen Tages der Nachbarn am Freitag, den 19. Mai treffen […]

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